Oberbürgermeister Toni Vetrano spricht mit Matthias Katsch über die Pandemie im Eurodistrikt
Die Stadt sei gut durch die Pandemie gekommen, sagte Stadtoberhaupt Toni Vetrano im Gespräch mit Matthias Katsch, dem Bundestagkandidaten der SPD im Wahlkreis. „Natürlich wurden auch Fehler gemacht“, gestand der Oberbürgermeister ein, der im kommenden Jahr nicht zur Wiederwahl antreten wird. „Wir hatten keine Blaupause für diese Pandemie“, sagte er, doch wer vor der Krise stabil unterwegs gewesen sei, sei auch gut herausgekommen. Die Grenzregion aber habe die Menschen vor besondere Herausforderungen gestellt.
Ein fundamentaler Fehler sei etwa die vollkommen unvorbereitete und einseitig verkündete Grenzschließung gewesen. So etwas dürfe sich nicht wiederholen, man lebe und arbeite ja in einem gemeinsamen Lebensraum. „Ich spreche auch gar nicht mehr von grenzüberschreitender, sondern von rheinübergreifender Zusammenarbeit“, sagte der OB. Es gebe Deutsche nicht nur diesseits und Franzosen jenseits des Rheins. „Wir haben in Kehl rund 3000 Mitbürger mit französischem Pass und 2000 weitere mit doppeltem Pass“, stellte Vetrano fest, das seien etwa zehn Prozent der Einwohner der Stadt.
Der gebürtige Berliner Matthias Katsch, der seit 14 Jahren in Offenburg lebt, sieht die Stadt Kehl als Teil einer Metropolregion Straßburg. „Wenn Deutschland und Frankreich als Treiber für die europäische Idee gesehen werden, dann schlägt hier in Kehl das Herz Europas“, sagte er. Mit dem schrittweisen Abbau bürokratischer Hemmnisse seien die Ortenau und das angrenzende Elsass schon lange eine Modellregion innerhalb Europas. „Hier bei uns werden die Bypässe gelegt, die es braucht, damit das europäische Herz auch schlagen kann“, waren sich beide Politiker einig. Verpasst habe man beispielsweise die Einbeziehung eines der modernsten Krankenhäuser Europas in die Überlegungen zur Klinikreform im Ortenaukreis, auch darin waren sich Katsch und Vetrano einig.
Zum Wohlstand in der Region habe auch das jahrzehntelange Bevölkerungswachstum beigetragen, nicht zuletzt durch den Zuzug ausländischer Fachkräfte, sagte Vetrano. Für diese Menschen müsse auch Wohnraum geschaffen werden, betonte das Stadtoberhaupt, und das werde immer schwieriger. „Stadtentwicklung kann nur gelingen, wenn es uns gelingt, die soziale Balance zu wahren“, sagte Vetrano. „Da ist es gut“, fügte Katsch hinzu, „dass wir nach zwei Jahrzehnten mit einem entfesselten Kapitalismus am Wohnungsmarkt alte Instrumente wie den sozialen Wohnungsbau wiederentdecken.“
Weiteres Mittel sei die Verdichtung der Innenstadt statt der Expansion am Stadtrand. „Es gibt noch rund 300 Baulücken in Kehl“, sagte Vetrano. Für entsprechende Investitionen müsse man Anreize schaffen. Dem stimmte der SPD-Kandidat zu: „Es müssen Veränderungsprozesse in Gang kommen, damit unsere Gesellschaft wieder gerechter wird“, sagte Katsch. Genossenschaften und kommunale Gesellschaften wie die Städtische Wohnbau GmbH in Kehl könnten Teil der Lösung sein. „Soziale Kompetenz und emotionale Intelligenz: Davon brauchen wir mehr“, betonte der studierte Sozialarbeiter Vetrano, der zum 1. Juli auch die Führung der Wirtschaftsregion Ortenau (WRO) übernommen hat.
Ein für die Wirtschaft wichtiges, rheinüberschreitendes Zukunftsprojekt ist die geplante Nutzung der Abwärme aus dem Badischen Stahlwerk in Kehl. Dafür habe der Gemeinderat gerade eine Beteiligung in Höhe von 530.000 Euro an der binationalen Wärmegesellschaft Calorie Kehl-Strasbourg, berichtete Vetrano.
Foto: Matthias Katsch (links) trifft Toni Vetrano zum Austausch über die Metropolregion Straßburg.